Ecce Homo

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In Leipzig werden in seinem letzten Semester entscheidende Weichen für die berufliche als auch geistige Entwicklung Nietzsches gestellt. Am 6. November, nachdem er im Philologischen Verein einen Vortrag 'Über die Satiren des Varro und des Zynikers Menippos' gehalten hat, findet er eine Einladung seines Freundes Windisch zu einem gesellschaftlichen Abend im Hause Brockhaus vor. Im Rahmen der Bekanntschaft zwischen den Professorenhäuser Ritschl und Brockhaus (Frau Brockhaus ist die Schwester Richard Wagners) erfährt Richard Wagner davon, daß Nietzsche ein Musikkenner ist und wünscht, ihn zu sehen.

Am 8. November findet die erste Begegnung Friedrich Nietzsches mit Richard Wagner statt.

Richard Wagner


Nietzsche beschreibt in einem Brief an Erwin Rohde gleich am folgenden Tag, noch voll unter dem überwältigenden Eindruck der Begegnung, das Treffen. Nietzsche hat nach Schopenhauer und Ritschl nun seine nächste Vorbildfigur gefunden, die er erst grenzenlos bewundern wird, danach bald mit kritischeren Augen sieht, um schließlich auf Distanz zu gehen, um am Ende zum Eigenen vorzustoßen. Nietzsche beschäftigt sich nach dem Gespräch mit Wagner, das besonders durch die von beiden geteilte Zuneigung zum Philosophen Schopenhauer geprägt ist, zunehmend mehr mit der Musik und der Musiktheorie Wagners. Daneben wird er von Wagner herzlich nach Tribbschen bei Luzern eingeladen. Noch weiß Nietzsche nicht, daß dies schon bald durch die ungewöhnlich und in gewissem Sinne auch ungewollt erlangte Professur in Basel leicht möglich ist.

Die Berufung nach Basel verdankt der vierundzwanzigjährige Nietzsche, der weder promoviert noch habilitiert ist, seinem einflußreichen Mentor Ritschl. Im Januar 1869 noch trägt sich Nietzsche mit Fluchtgedanken aus der ihm als einengend erscheinenden Philologenwelt. In einem Brief schreibt er plötzlich über ein mögliches Chemiestudium, Paris schwebt ihm als Rettung vor. Zu diesem Moment weiß er noch nicht, daß in Basel nach dem Weggang des Altphilologen Adolf Kiessling nach Hamburg eine Professorenstelle vakant geworden ist und von dem Erziehungsrat der Stadt Basel Professor Wilhelm Vischer-Bilfinger bei Ritschl und anderen fünf namhaften Gelehrten wegen möglicher Empfehlungen angefragt wurde.

Neben Ritschl äußert sich auch Professor Usener aus Bonn überaus positiv über Nietzsche: "Unter der jüngsten Generation ragt Friedrich Nietzsche hervor, dessen Arbeiten im Rheinischen Museum (...) durch jugendliche Frische und eindringenden Blick überraschen". Ritschl schreibt über seinen Musterschüler Nietzsche nach Basel: "So viele junge Kräfte ich auch seit nunmehr 39 Jahren unter meinen Augen sich habe entwickeln sehen: noch nie habe ich einen jungen Mann gekannt, resp. in meiner Discipline nach meinen Kräften zu fördern gesucht, der so früh und so jung so reif gewesen wäre, wie diesen Nietzsche (...) Bleibt er, was Gott gebe, lange leben, so prophezeie ich, daß er dereinst im vordersten Rang der deutschen Philologie stehen wird (...) Er ist der Abgott und (ohne es zu wollen) Führer der ganzen jungen Philologenwelt hier in Leipzig, die (ziemlich zahlreich) die Zeit nicht erwarten kann, ihn als Dozenten zu hören."

Am 10. Februar 1869 fällt die Entscheidung klar für Friedrich Nietzsche. So sehr besonders Mutter, Schwester und die Tanten stolz sind über diese ungewöhnliche Entwicklung, erkennt Nietzsche auf den ersten Blick traurigfroh, daß diese unerwartete Entscheidung zuletzt nicht seinen wirklichen geistigen Absichten entspricht. In der gewohnten Verstellungskunst akzeptiert er die neue Rolle und plant noch im Willen, sein Studium ordentlich abzuschließen, über Diogenes Laertius seine Dissertation zu schreiben. Diese Formalität wird ihm erlassen und er erhält die Promotion ohne Disputation allein auf Grundlage der vorher veröffentlichten Arbeiten, z.B. im Rheinischen Museum.

Das vierundzwanzigjährige Genie macht sich im April 1869, nachdem er aus formellen Gründen seine preussische Staatsangehörigkeit aufgegeben hatte, auf den Weg nach Basel. Über Köln, Bonn, Heidelberg, wo er in einem Hotel seine programmatische Antrittsvorlesung über 'Homer und die klassische Philologie' schreibt und Karlsruhe, wo er spontan Halt macht, um die 'Meistersinger' von Wagner zu hören, erreicht Friedrich Nietzsche am 19. April 1869, nachmittags um zwei Uhr Basel. Für zehn Jahre wird hier nun der Mittelpunkt des Lebens von Prof. Friedrich Nietzsche sein.


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